Schädelkirche? Ihr seid Cringe! Oder vielleicht doch nicht?

Die Welt von Rust ist geprägt von Hardcore-PvP-Spieler:innen, doch was geschieht, wenn jemand neue Wege geht? Häufig kommt es hier zu heftig ablehnenden Reaktionen. Hier ein paar Erfahrungen aus meinem Spiel im Spiel mit der Schädelkirche:

„So spielt man doch nicht Rust!“, „Du spielst das falsch.“, „Du hast ja keine Ahnung von dem Spiel“, „Geh auf einen PVE-Server!“, „Du bist echt cringe.“

Welche Hintergründe und psychologischen Dynamiken können solch einer heftigen Ablehnung gegenüber alternativen Spielstilen in der Rust-Gemeinschaft zugrunde liegen? Dieser Blogbeitrag nimmt dich mit, in die Untiefen labiler Spieler:innen-Seelen.

Inhaltsverzeichnis

Du spielst das falsch! Geht auf einen PVE-Server!
Du spielst das falsch! Geht auf einen PVE-Server!

Psychologische Dynamiken und Hintergründe für eine ablehnende Haltung

1. Xenophobie in der Gaming-Welt

Xenophobie, die Angst vor dem Fremden, manifestiert sich auch in der Gaming-Welt. Forschungen von P. J. Oakes , J. C. Turner und anderen [1] zeigen, dass Menschen dazu neigen, sich in Gruppen zu kategorisieren und Abweichungen von der Gruppenidentität abzulehnen.

In der Rust-Community könnte dies erklären, warum alternative Spielstile auf Widerstand stoßen. Die Angst vor dem Unbekannten könnte zur Ablehnung führen, da Hardcore-PVP-Spieler:innen eine klare Identität und Gruppenzugehörigkeit aufrechterhalten möchten. Rust Spieler:innen, die das Spiel jetzt ganz anders spielen – und dabei doch alle Spielregeln einhalten – bedrohen diese Gruppenidentität der rustikalen Hardcore-PVP-Chads.

2. Identitätsverlust in einer Hardcore-Gaming-Kultur

Bedrohung der Identität. Die Hardcore-PvP-Kultur in Rust fördert oft eine spezifische Identität. Spieler formen eine eigene Spielweise und Identität, die auf Intensität, Wettbewerb und Überleben basiert. Abweichungen könnten als Bedrohung dieser Identität wahrgenommen werden. Spieler könnten befürchten, dass alternative Spielstile ihre eigene Spielweise infrage stellen und somit einen Identitätsverlust auslösen.

Laut Jonathan Haidt [2] ist die Wahrung einer kohärenten Identität ein grundlegendes psychologisches Bedürfnis. Abweichungen könnten als Angriff auf dieses Bedürfnis interpretiert werden. Entsprechend hart werden dann die „Angreifer“ angegangen, die die Gruppenidentität der PVP-only-Spieler:innen durch ihre Spielweise infrage stellen.

3. Gruppendynamiken und sozialer Druck

Bist du für uns oder gegen uns? Die Ablehnung alternativer Spielstile könnte auch auf Gruppendynamiken zurückzuführen sein. In Hardcore-PVP-Gemeinschaften könnten soziale Normen entstehen, die jede Abweichung als Bedrohung sehen. Spieler:innen, die sich nicht anpassen, könnten sozialen Druck erfahren und in der Folge alternative Spielstile als unerwünscht ansehen.

Bist du für uns oder gegenuns?
Bist du für uns oder gegenuns?

Die Forschung von Solomon Asch zeigt beispielsweise [3], dass Individuen oft dazu neigen, sich der Mehrheit anzupassen, selbst wenn sie von der Mehrheitsmeinung abweichen.

In Rust könnte dies zu einem Druck führen, sich dem etablierten PVP-Spielstilen anzupassen, um Akzeptanz in der Gemeinschaft zu finden. Die öffentliche Zur-Schau-tragen dieser Anpassung erhöht die Akzeptanz aus der Gruppe der PVP-only-Fans.

Gegenbewegung: Diejenigen, die öffentlich oder geheim helfen.

Diejenigen, die bisher in diesem Text Beachtung fanden, sind die „lauten“ Spieler:innen, die ihre Meinung tumb herausschreien, in den ingame Chat oder auf Discord.

Helfer:innen. Es gibt aber auch – bisher auf jedem Server – das genaue Gegenteil: Leute helfen der Schädelkirche. Und das ohne einen direkten Nutzen, abgesehen vom besseren Kampf- und Lootglück, den der Schädelgott verspricht.

Das können anonyme Spenden in die Dropbox sein, militärische Hilfe gegen Feinde der Kirche oder auch eine zeitweise Mitarbeit am Kirchengebäude oder dem Aufbau von Kloster-Betrieben (Farm, Schmiede, Pferdestall) im Umfeld der Kirche.

Trotz Skepsis. Wenn jemand – ggf. trotz anfänglicher Skepsis – das niedrigschwellige Angebot der Schädelkirche nutzt, könnten hier ebenfalls bestimmte psychologische Muster und soziale Dynamiken zum Tragen kommen.

Helferinnen und Helfer auf dem Kirchhof
Helferinnen und Helfer auf dem Kirchhof

Huch! Etwas Neues!

Bewältigungsstrategien. Es ist bekannt, dass Menschen, wenn sie mit neuen oder ungewöhnlichen Situationen konfrontiert werden, verschiedene Bewältigungsstrategien anwenden. Die Xenophobie, die oben benannt ist, ist eine.

Es geht auch konstruktiv. Zwei andere sind die Neugier und das Bedürfnis nach sozialer Integration. Laut dem Selbstbestimmungstheorie-Framework nach Deci & Ryan [4] ist das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Verbundenheit entscheidend für das individuelle Wohlbefinden.

Wenn Spieler trotz Vorbehalten an Aktivitäten teilnehmen, die diese Bedürfnisse ansprechen, könnte dies auf eine intrinsische Motivation und den Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit hinweisen. In Bezug auf soziale Integration und Akzeptanz könnte auch die Theorie des „sozialen Exchange“ nach Homans [5] relevant sein. Spieler könnten die Schädelkirche als eine Gelegenheit sehen, positive soziale Interaktionen und emotionale Unterstützung zu erhalten. Wenn die Kontakte mit Vertreter:innen der Kirche entsprechend wertschätzend, positiv sind, könnte das zu einer verstärkten Partizipation führen, selbst wenn sie ursprünglich skeptisch waren.

Alles nur Modelle. Es ist wichtig zu betonen, dass all diese Erklärungen allgemeiner Natur sind und auf verschiedene psychologische Konzepte zurückgreifen. Die individuellen Beweggründe können von Person zu Person noch mal komplett unterschiedlich sein.

Fazit und subjektive Bewertung

Soweit zur psychologischen Forschung. Aber was tun wir jetzt mit diesen Erkenntnissen?

Rust und Schädelkirche sind ein Match. Eigentlich ist es doch schräg, dass eine Religion, die so gut zum PVP-Stil in dem Spiel passt, abgelehnt wird. Man könnte sich damit rühmen, wie viele Schädel man in der Kirche abgegeben hat, statt sich auf eine kalte Kill/Death-Bilanz zu fokussieren.

Alles Cringe? Aber in einem Spiel, in dem wir uns immer wieder in einem endlosen Zyklus von Tod und Wiedergeburt befinden, in dem wir alle zu Massenmörder:innen werden, die einander abknallen, sobald sie sich sehen, ist eine Schädelkirche scheinbar für manche „zu viel des Guten“.

Es ist faszinierend, zu sehen, wie unterschiedlich Menschen auf Kreativität reagieren. Während die einen die Schädelkirche als „cringe“ abstempeln, sehen andere darin eine einzigartige, herausfordernde Interpretation des Rust-Universums.

An der Realität nur als Gast teilnehmen. Es gibt sicherlich kein „richtiges“ oder „falsches“ Spiel in Rust. Aber so ein wenig kommen mir die Kritiker:innen vor wie meine Mutter während meiner Pubertät. „Die Hose kannst du nicht mehr anziehen!“ – und das, obwohl ich sie gerade angezogen hatte. „So spielt man das nicht“ – obwohl ich es gerade so gespielt habe…

Wie viel realitätsferner kann man argumentieren?

Manche weigern sich, an der Realität auch nur als Gast teilzunehmen...
Manche weigern sich, an der Realität auch nur als Gast teilzunehmen…

Gemeinsame Freizeitgestaltung. Mir jedenfalls sind Mitspieler:innen lieber, die aufgrund Neugierde und sozialer Integration handeln als solche, die aufgrund von Gruppendruck oder Angst vor dem Fremden, oder Identitätsverlust getrieben sind, ihren Unmut über andere Spielstile ungefragt mitzuteilen.

Herausforderung gelungen. Wenn einige Spieler:innen die Schädelkirche als „cringe“ bezeichnen, nehme ich das als Kompliment. Es zeigt, dass wir etwas geschaffen haben, das ihre Erwartungen herausfordert und ihre Vorstellung von dem, was in Rust möglich ist, erweitert – oder erweitern könnte, wenn sie es zulassen.

Und wer keine neuen Erkenntnisse zulassen kann, ist irgendwie selbst auch ein wenig „cringe“ – oder?

[1] Turner, J. C., Hogg, M. A., Oakes, P. J., Reicher, S. D. & Wetherell, M. S. (1987): Rediscovering the social group. A Self-Categorization Theory. New York, NY: Basil Blackwell
[2] Haidt, Jonathan (2012): The Righteous Mind: Why Good People Are Divided by Politics and Religion. New York, NY: Pantheon Books.
[3] Asch, Solomon (1963): Opinions and Social Pressure in Sutermeister, Robert A. (Hrsg.), People and Productivity, McGraw-Hill, New York u. a. 1963; 3. Aufl.
[4] Ryan, Richard M. und Deci, Edward L. (2000): Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being. In: American Psychologist 55, 68–78., Washington, D.C.
[5] Homans, George C. (1958): Social Behaviour as Exchange. In: American Journal of Sociology 63, 6: 597-606, Chicago

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